Trotz eines sehr erfreulichen Wachstums blickt das Nutzfahrzeugsegment der Lieferwagen einer ungewissen Zukunft entgegen. Denn mit dem kommenden Jahr, also in nicht einmal fünf Monaten, werden in der Schweiz erstmals Zielvorgaben für den Kohlendioxid-Ausstoss neuer Transporter bis 3.5 Tonnen Gesamtgewicht eingeführt. Ein Blog von Andreas Burgener, Direktor auto-schweiz.

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Der Schweizer Nutzfahrzeugmarkt brummt. Anders kann man die Zahlen der Liefer- und Lastwagen sowie der Personentransportfahrzeuge aus dem ersten Halbjahr kaum zusammenfassen. Insgesamt kamen in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein 23'391 neue Nutzfahrzeuge auf die Strasse. Das waren gut 2'000 oder fast 10 Prozent mehr als in den ersten sechs Monaten des Vorjahres. Einen Grossteil davon machen die leichten Nutzfahrzeuge, also Lieferwagen und leichte Sattelschlepper aus. Mit 17'052 Immatrikulationen lag dieses Segment gut 7 Prozent im Plus. Dazu kommen 2'636 schwere Fahrzeuge, wie etwa Lastwagen und grosse Sattelschlepper, sowie 3'706 Personentransportfahrzeuge (Camper, Cars, Busse etc.).

Trotz dieses sehr erfreulichen Wachstums blickt das grösste Nutzfahrzeugsegment der Lieferwagen einer ungewissen Zukunft entgegen. Denn mit dem kommenden Jahr, also in nicht einmal fünf Monaten, werden in der Schweiz erstmals Zielvorgaben für den Kohlendioxid-Ausstoss neuer Transporter bis 3.5 Tonnen Gesamtgewicht eingeführt. Ab 2020 dürfen Lieferwagen im Durchschnitt nur noch 147 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen. Dieses Ziel übernimmt die Schweiz von der EU, genauso wie bei den Personenwagen die 95 g/km. Und genauso wie bei den Autos bleibt das Ziel in der Schweiz auf Jahre hin unerreichbar: 2018 lag der durchschnittliche CO2-Ausstoss neuer Lieferwagen bei 183.3 g/km. Die EU und Island, das sich klugerweise an den Kontinent anrechnen lässt, kommen zusammen auf 158.1 g/km. Hier scheint das 147-Gramm-Ziel im kommenden Jahr in Reichweite zu sein.

Warum liegt die Schweiz so deutlich über dem europaweiten Schnitt? Ähnlich wie bei den Personenwagen ist der Markt hierzulande ein anderer als bei unseren Nachbarn. Wegen der Topografie werden leistungsstärkere Motoren nachgefragt, auch Allrad ist bei leichten Nutzfahrzeugen in der Schweiz durchaus ein Thema. Zudem sind Transporte per Lieferwagen hierzulande interessant, weil sie nicht unter die LSVA-Regelung fallen. Kein Wunder also, dass das durchschnittliche Leergewicht von Schweizer Lieferwagen 2018 mit 2'202 kg deutlich über demjenigen der EU lag (1'839 kg). Dies führt zu höherem Normverbrauch und deshalb zu höheren CO2-Emissionen.

Was könnte es nun bedeuten, wenn die Schweizer Importeure die CO2-Zielvorgaben in den kommenden Jahren deutlich reissen? Die dann fälligen Strafzahlungen müssten im schlimmsten Fall auf die Kaufpreise aufgeschlagen werden. Das will niemand, ist aber nicht auszuschliessen. Handwerker, KMU und die Transportbranche hätten keine andere Wahl, als die höheren Beschaffungskosten für ihre Fahrzeuge, auf die sie zwingend angewiesen sind und bei denen sie oft nicht auf alternative Antriebe zurückgreifen können, wiederum auf ihre Preise aufzuschlagen. Dies hätte einen Kostenanstieg in praktisch sämtlichen Bereichen des Lebens zur Folge – Vieles, was per Lieferwagen transportiert wird, könnte teurer werden. Angesichts des derzeitigen Konjunkturdurchhängers keine guten Perspektiven für die Schweizer Wirtschaft.

Die Politik sollte sich diese Ausgangslage bewusst machen und für symbolische Klimamassnahmen nicht noch Arbeitsplätze gefährden. Denn mit der «Totalrevision des CO2-Gesetzes», so der Wunsch einiger Parlamentarier, sollen die bestehenden Einführungsmodalitäten zu den neuen Zielen ab 2021 komplett wegfallen. Dies beträfe vor allem die stufenweise Teil-Anrechnung der Fahrzeugflotte von Importeuren («Phasing-in»), die 2021 noch 10% und 2022 dann 5% der Fahrzeuge von der CO2-Berechnung ausschliesst: Eine sinn- und massvolle Rücksichtnahme des Bundesrats auf die Besonderheiten des Schweizer Fahrzeugmarktes. Mit der möglichen Streichung dieser Übergangsregelung zielt man klar auf die Personenwagen – träfe damit aber auch und vor allem die Lieferwagen und damit sämtliche Wirtschaftsbereiche. Im Sinne der Wirtschaft und der Rechtssicherheit sollte das Parlament die bestehende Regelung dringend unangetastet lassen.

 

Zur Person: Andreas Burgener ist seit 2003 Direktor von auto-schweiz. Der gelernte Lastwagenmechaniker bildete sich weiter zum Automobilingenieur und in Betriebswirtschaft mit einem EMBA an der HSG. Er arbeitete im Spezialtiefbau, im Verkauf von Tunnelbohrgeräten und im Test- und Prüfzentrum Dynamic Test Center in Vauffelin, wo er heute als Vizepräsident des Verwaltungsrates amtet. Darüber hinaus ist er Stiftungsratsmitglied der Stiftung Auto Recycling Schweiz und der Stiftung Cerebral.

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