Seit Jahren ärgert man sich in Deutschland mindestens ein bisschen, dass Tesla dem heimischen Premium-Trio die Schau stiehlt. Mit dem Mercedes-Benz EQS sehen sich die Medien aber wieder im Chefsessel.

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Zwar wird Tesla dieses Jahr mit der Eröffnung des Werkes in den brandenburgischen Wäldern auch ein bisschen deutsch, doch in erster Linie ist der amerikanische Autobauer, ein Stachel im Fleisch der lange erfolgsverwöhnten Autonation. Der Elektropionier galt als hoch innovativ und zuletzt sogar ökonomisch erfolgreich (jedenfalls an der Börse), während den deutschen Herstellern Wohlstandspeck und mangelnde Visionen (oder im Fall von Dieselgate gar kriminelle Energien) vorgeworfen wurde.

Doch 2021 soll vieles anders werden. Die Elektro-Offensive des Volkswagen-Konzern nimmt Fahrt auf, bei BMW folgen auf den i3 in naher Folge iX3, das Gran Coupé i4 und der iNext. Und in Stuttgart? Dort knallten letzte Woche gleich zweifach die Korken. Erstens vermeldete Daimler einen Quartalsgewinn, der beinahe an das Gesamtergebnis 2020 heranreichte. Und Mercedes-Chef Olla Kallänius stellte den EQS vor und hielt dabei mit seiner Begeisterung nicht hinter dem Berg. «So etwas hat die Welt noch nicht gesehen.» Was natürlich stimmt, schliesslich ist der EQS, um den Mercedes-Pressetext zu zitieren, «das erste Elektrofahrzeug der Luxusklasse».

Deklassiert der Mercedes-Benz EQS den Tesla S?

Die Begeisterung allerdings schien über den Konzern hinaus zu tragen. Besonders in die patriotische Brust warf sich die Tageszeitung «Welt». Sie titelte frohgemut «Die elektrische S-Klasse deklassiert den Tesla S». Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) freute sich über den «Tesla-Jäger» (einen Titel, den sich Porsche mit dem Taycan längst verdient hat) und das Nachrichtenportal t3n erkennt im EQS «das E-Auto für höchste Ansprüche». In friedlicher und gleichzeitig offensiver Stimmung wiederum gab sich das Auto-Medienportal: «Das Imperium summt zurück». Kämpferisch und erleichtert schliesslich die Stuttgarter Nachrichten: «Daimler bietet Tesla die Stirn – endlich».

Nun liesse sich der Optimismus mit dem Hinweis dämpfen, dass Luxusautos bezüglich Stückzahlen in den meisten Märkten in die Bedeutungslosigkeit entglitten sind. Die Mercedes S-Klasse kam in der Schweiz vergangenes Jahr auf 189 Immatrikulationen. Mit dem EQS geht es (nebst schönen Umsätzen in Märkten wie China) aber vorab um Symbolik. Man will ganz oben in der Nahrungskette stehen, und einige Merkmale des coupehaft geschnittenen Luxusliners markieren Bestwerte oder stehen in Weltrekordverdacht.

Mit seinem riesigen 108-kWh-Batteriepaket und dem trotz konventioneller Rückspiegel rekordtiefen Luftwiderstandsbeiwert (0,20) soll der EQS satte 770 km weit kommen. So weit wie noch kein Elektroauto auf dem Markt, auch nicht der «dickste» Tesla. Auch die fast 1,5 Meter breite Bildschirm-Armaturenlandschaft hat Rekordpotenzial, die Garantie auf der Batterie von 10 Jahren oder 250'000 km sowieso. Tesla-Fans werden sich damit trösten, dass sich der Elektro-Benz in Sachen Beschleunigung nicht mal Mühe gibt, mit den schnellen Versionen des Model S mitzuhalten.

Marktstart ist im Sommer 2021.

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